Eine Krise der Repräsentation in Mecklenburg-Vorpommern?
Was haben ein strategisches Brettspiel und (Landes-)Parlamente gemeinsam? Sind es die vermeintlich gegnerischen Parteien, die clevere (Spiel-)Züge austragen, bei denen Bauernopfer an der Tagesordnung sind? Während sich im Schach Weiß und Schwarz der Herausforderung einer Partie stellen, treten in Parlamenten, losgelöst von der Parteienlandschaft, Frauen und Männer an.
Zum ersten Mal wird der Stand der Repräsentation von Frauen in der Landespolitik Mecklenburg-Vorpommerns wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Auf der Basis qualitativer Interviews mit Mandatsträgerinnen haben die Verfasser:innen der Studie herausgearbeitet, inwiefern bereits Fortschritte hinsichtlich eines ausgeglicheneren Abbilds der Gesamtheit der Gesellschaft innerhalb des Landtages erkennbar werden und wo eher Stagnation herrscht. Denn nur eine Ausgewogenheit von weiblichen und männlichen Perspektiven vermag einerseits die Identifikation von gesellschaftlichen Problemen und damit verbundenen Lösungsansätzen inhaltlich zu weiten. Zudem verändern eine stärkere weibliche Beteiligung, vor allem aber ein konstruktives Miteinander, Politikprozesse zum Besseren.
Sowohl Schach als auch Politik leben von Kommunikation und gegenseitiger Anerkennung im Rahmen eines regelgeleiteten Wettbewerbes, in welchem absolute Gewinne oder allgemein Kategorien von Gewinnen und Verlieren nicht das übergeordnete Ziel darstellen müssen.
Ludmila Lutz-Auras, Dennis Bastian Rudolf: Politisches Damengambit. Eine Krise der Repräsentation in Mecklenburg-Vorpommern?, hg. v. Friedrich-Ebert-Stiftung MV, Schwerin 2023.
Die gleichmäßige Repräsentation unserer Bevölkerung ist im Landtag so einfach nicht gegeben. Nur 29 von 79 Abgeordneten sind weiblich. Gerade bei Themen wie Kita oder im sozialen Bereich, wo nun mal überwiegend Frauen auch tätig sind, haben Männer oftmals nicht den tiefgründigen Einblick.
(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE – S. 19)
INFOBOX
Methode, Auswertungsstrategie und Anonymität
Die Auswertung der Studienergebnisse behandelt das Sample aus 23 Befragten in der Folge als kollektiven Korpus. Exemplarische Darstellungen subjektiv-geteilter Wahrnehmungen werden dementsprechend in komplett anonymisierter Form wiedergegeben, um zu gewährleisten, dass keine Rückschlüsse bzw. Zuordnungen zu bestimmten Personen möglich sind. Wo dies eventuell dennoch möglich wäre, wurde vorab die Zustimmung der Befragten eingeholt.
Anteil der Mandatsträger:innen in MV
Quelle: Eigene Darstellung nach: Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Die Abgeordneten des Landtages, abrufbar unter: https://www.landtag-mv.de/landtag/abgeordnete/sitzordnung (11.12.2021). Die Verhältnisse spiegeln die Verhältnisse zur Konstitution des Landtages. Ausgeschiedene Mitglieder des Landtages und Nachrücker:innen sind nicht berücksichtigt. (S. 30)
Bilanz
Es sind gerade strukturelle und kulturelle, innerparteiliche wie gesellschaftliche Hemmnisse, die deutlich machen, dass sich weitere positive Entwicklungen im Bereich der weiblichen Repräsentation in der Politik eben nicht wie von selbst – oder mit nur ausreichend Geduld – einfach einstellen. Diese bedürfen jedoch nicht nur desWillens und des Engagements der Frauen, sondern auch eines Interesses der Männer, weibliche Perspektiven stärker in den öffentlichen Willensbildungs- und (partei-)politischen Entscheidungsprozess einzubinden. Nur wenn plurale Lebensentwürfe und Weltbilder nebeneinander gleichberechtigt Eingang in diesen Prozess finden, kommt eine liberal-repräsentative Demokratie dem Ideal näher, Politik tatsächlich im Interesse aller zu machen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wird der „Weltfrauentag“ am 8. März daher in Zukunft weniger ein Tag zum Feiern des bereits Erreichten sein, sondern ein Aktionstag für weiterhin bestehende Herausforderungen bleiben.
Ich muss immer lachen, wenn die Themen, in denen Frauen etwas bewegen können, von Männern intern ausgedacht werden.
(Sandy van Baal, FDP – S. 54)
Kontakt
Dr. Ludmila Lutz-Auras ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit an der Universität Rostock. 2020 war sie Mitgründerin des Zentrums für Eurasisch-Russländische Studien (ZEUS), als dessen Sprecherin sie aktuell agiert. Schwerpunkte ihrer Forschung liegen unter anderem in der Energiesicherheit im Ostseeraum und der Geschichte, Kultur, den Regierungssystemen sowie der Außenpolitik in den Transformationsländern Osteuropas. Darüber hinaus befasst sie sich mit den Thematiken Region und Regionalisierung im postsowjetischen Raum, Migration und der Rolle der Frauen in der Politik. Ehrenamtlich engagiert sie sich als Vorstandsvorsitzende der Mecklenburgern AnStiftung, in der sie die Verantwortung für das Schulprojekt „WarmUp! Jugendkultur für Demokratie“ trägt.
Förderer:innen der Studie
Friedrich-Ebert-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern (FES MV)
Die FES verkörpert die älteste politische Stiftung Deutschlands, benannt nach Friedrich Ebert, dem ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten. Als parteinahe Stiftung orientieren sich ihre Arbeit an den Grundwerten der Sozialen Demokratie: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Zu den zentralen Aufgaben des seit 1991 existierenden Landesbüros Mecklenburg-Vorpommern gehören unter anderem die Organisation politischer Bildung, Durchführung von Veranstaltungen zur politischen und gesellschaftlichen Bildung von Menschen aus allen Lebensbereichen in demokratischem Geist, Förderung des Dialogs zwischen den gesellschaftlichen Gruppen sowie Unterstützung wissenschaftlicher Projekte. Die Studie ist dort unter https://library.fes.de/pdf-files/bueros/schwerin/20362.pdf herunterzuladen.
Zentrum für Eurasisch-Russländische Studien (ZEUS) an der Universität Rostock
Beim ZEUS handelt es sich um eine interdisziplinäre, universitätsweite Forschungs- und Beratungseinrichtung, welche von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät in Kooperation mit dem Rektorat der Universität Rostock sowie dem Rostock International House getragen und als Institut dem Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften zugeordnet wird. Das vorrangige Ziel des ZEUS besteht darin, den multilateralen Austausch von Studierenden sowie akademischen und nicht-akademischen Mitarbeitenden im eurasischen Raum zu intensivieren. Daran anknüpfend werden gemeinsame Schwerpunkte in der Lehre und Forschung bearbeitet, welche sich besonders eignen, um die wissenschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung zwischen allen beteiligten Partner:innen voranzubringen.
Mecklenburger AnStiftung (MAS)
Seit ihrer Gründung 2005 ist die MAS eine gemeinnützige Stiftung, die zu unterschiedlichen Initiativen anstiften und Menschen dafür begeistern möchte. Dabei ist die Stiftung allerdings weder auf den Landesteil Mecklenburg noch das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern begrenzt. Mecklenburger AnStifter bringen ihre Erfahrungen, Netzwerke und Ideen ein, um Themen und Vorhaben aus den Bereichen Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, Förderung von Benachteiligten und Bedürftigen, Umwelt, Landschafts- und Denkmalschutz, Brauchtum und Heimatpflege sowie Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu gestalten.
Veranstaltungen
26.10.23 – Vorstellung der Studie
Am Donnerstag, den 26. Oktober, stellten wir in Rostock die Studie zur Krise der Repräsentation in MV vor. Es begrüßte Sie die Rektorin der Universität Rostock, Prof. Dr. Elizabeth Prommer, und Wenke Brüdgam, die Gleichstellungsbeauftragte MV. Sie konnten sich nicht nur auf die Vorstellung der Studie durch die Autor:innen selbst freuen, sondern auch auf die gemeinsame Podiumsdiskussion mit Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (DIE LINKE), Andrea Krönert (Bündnis 90/Die Grünen), Julia Müller (CDU), Julia Kristin Pittasch (FDP) und Sabrina Repp (SPD). Um 18 Uhr ging es los in der Aula der Universität Rostock.